Offener Brief an Wolfgang Kubicki

Lieber Herr Kubicki,

wie jeden Morgen vor Arbeitsbeginn schaue ich mir online die aktuellen Pressemeldungen an. In der
Regel sind die dominanten Themen derzeit der Krieg in der Ukraine, Energiepreissteigerung und die
von FDP-Finanzminister Lindner geplanten Entlastungspakete zur Abwendung der durch die drohende
Energiekrise entstehenden finanziellen Folgen für die Bürger unseres Landes.

Doch dann traue ich meinen Augen nicht. Mit Bezug auf das Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND)
berichtet Focus online (19.08.2022, 08:06 Uhr), dass mein langjähriges FDP-Idol öffentlich die
Inbetriebnahme von Nord Stream 2 fordert.

Nun steht für mich der Name Kubicki in der FDP für eine Person, die sturmerprobt ist, wie ein Schiff
auf hoher See, unerschütterlich auch gegen die stärksten Wellen ankämpfend, den Skipper haut so
schnell nichts um. Unser Nordlicht, kein Wendehals, wie es sie in anderen Parteien im Überfluss gibt,
kein Lobbyist und Handlanger, der es am Ende seiner Politkarriere nötig hat, sich Diktatoren
anzubiedern. Eine aufrichtige und starke Führungspersönlichkeit – eine Ikone im Norden und in der
FDP.

Doch dann werden Sie wie folgt zitiert:


„Wir sollten Nord Stream 2 jetzt schleunigst öffnen, um unsere Gasspeicher für den Winter zu füllen.“

Wolfgang Kubicki

Der Bericht setzt fort, dass Sie geäußert hätten, es gebe „keinen vernünftigen Grund, Nord Stream 2
nicht zu öffnen.“

Lieber Herr Kubicki, es gibt sogar mehrere vernünftige Gründe: Nämlich die Verhinderung der
Erpressbarkeit Deutschlands und seiner Regierung sowie die Aufrechterhaltung des Ansehens unseres
Landes als politischen, wirtschaftlichen und militärisch verlässlichen Partner in der Welt.

Als freiheitlich denkende Menschen dürfen wir uns weder erpressen noch zur energiepolitischen
Marionette Putins machen lassen. Den Blick nach Niedersachsen erspare ich uns hier.

Weiter werden Sie wie folgt zitiert:


„Kommt auf diesem Weg mehr Gas bei uns an, vielleicht sogar die komplette vertraglich zugesicherte Menge, wird das helfen, dass Menschen im Winter nicht frieren müssen und unsere Industrie nicht schweren Schaden nimmt. […] Wenn die Gasspeicher gefüllt sind, können wir Nord Stream 2 ja wieder schließen – und die anderen Pipelines auch, wenn wir unabhängig geworden sind. Aber das sind wir nun mal noch nicht.“

Wolfgang Kubicki

Ist das nicht etwas zu einfältig gedacht? Es kommt mir fast vor, als wäre dieses Szenario der
Kinderbuchfeder des grünen Wirtschaftsministers entsprungen.

Unterschätzen Sie bitte nicht – so wie es die unionsgeführte Regierung unter Frau Merkel über viele
Jahre getan hat – die kognitiven Fähigkeiten des russischen Präsidenten und seiner Handlanger.
Glauben Sie wirklich, dass man in Russland die uns zur Verfügung stehenden Szenarien nicht
strategisch analysiert und die Handlungsoptionen Deutschlands antizipiert? Wenn Putin es wollen
würde, dann wäre es leicht über Nord Stream 1 die benötigten Gasmengen zu liefern. Doch Putin hat
sich für die Erpressung Deutschlands und anderer Länder entschieden.

Die Inbetriebnahme von Nord Stream 2 wird daran nichts ändern. Im Gegenteil: Es käme einem Sieg
russischer Diktatur über die Demokratie Deutschlands gleich. Innenpolitisch könnte dann Putin für sich
proklamieren, dass er seine Forderungen gegenüber Deutschland – dem wirtschaftlich stärksten EU-
Mitglied – durchsetzen konnte. Wollen Sie Putin zu diesem innenpolitischen Sieg verhelfen? Wollen
Sie Putin in Russland zum Volkshelden küren? Der „Vaterländische Verdienstorden“ der Russen wäre
Ihnen wohl sicher!

Eine freiheitliche Partei darf NIEMALS Diktatoren unterstützen – weder direkt noch indirekt.
Diktatoren, die die freie Meinungsäußerung in ihrem Land unterdrücken, gegen die eigenen Bürger mit
Freiheitsentzug und anderen Sanktionen vorgehen, andere souveräne Staaten aus Willkür überfallen,
dabei ohne Notwendigkeit Männer, Frauen, Kinder und alte Menschen rücksichtslos foltern und
morden – das darf man nicht unterstützen. Auch dann nicht, wenn es für uns zu Einschnitten in
unserem täglichen Leben kommt.

In der „Welt“ (21.08.2022, online) versuchen Sie Ihre Argumente nachvollziehbar zu erläutern. Es
bleibt bei dem Versuch, denn es fehlt durchgängig an logischer Kausalität. Stattdessen versuchen Sie
kritisch Fragende abzuwürgen und wiederholen in Ihrer Darstellung lediglich die Argumente der
Ursprungsmeldung – nur neu verpackt. Das kenne ich von Ihnen anders.

Ich habe Ihren Bundestagswahlkampf unterstützt, mit Freude und Stolz Ihre Plakate verbreitet,
unzählige Diskussionen mit Bürgern geführt – alles um sicherzustellen, dass Sie genau da wirksam
werden können, wo Sie jetzt sind: Mandatsträger für die FDP im Bundestag – als unser sturmerprobtes
Nordlicht.

Daher appelliere ich an Sie, dass Sie sich anstelle einer Öffnung von Nord Stream 2 mit all Ihrer Kraft
und Erfahrung in der politischen Arbeit der FDP für eine Laufzeitverlängerung der Kernkraftwerke
einsetzen. Dies würde helfen den Gasanteil, der derzeit zur Verstromung eingesetzt wird, zu
reduzieren, die Gasspeicher schneller zu füllen sowie eine Deckungslücke bei der Stromversorgung zu
vermeiden. Dafür braucht es keine Nord Stream 2.

Mit besten Grüßen

Prof. Dr. Uwe Schindler, MBA

Mitglied des Vorstands der FDP Kreis Stormarn
Mitglied des Vorstands im FDP-Ortsverband Bargteheide

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